Protein – aus Vegan-Klischee ade!
Obwohl dutzende vegane Athleten weltweit Bestleistungen in vielen unterschiedlichen sportlichen Disziplinen aufstellen konnten, wird eine vegane Ernährung fälschlicherweise noch immer in einigen Veröffentlichungen mit einem Mangel an Kraft, Ausdauer und Leistungsfähigkeit sowie einer Unterversorgung mit Protein assoziiert. Erfolgreiche Athleten wie Patrik Baboumian, der als veganer Strongman unter anderem 2013 den Weltrekord im Yoke Walk über zehn Meter mit 555 kg Gewicht auf dem Rücken erzielte,1 zeigen allerdings, dass die körperliche Kraft auch nach Jahren der rein pflanzlichen Ernährung nicht nachlässt. Der vegane Ultramarathon-LäuferScott Jurek, der sich bereits seit 1999 vegan ernährt, hat viele Rekorde gebrochen und unter anderem sieben Mal in Folge den Western States Endurance Run (160 km) gewonnen.
Selbstverständlich sind solche Einzelfälle keine evidenzbasierten Beweise für den Nutzen einer pflanzlichen Ernährung, aber sie fügen ein weiteres Stück zu den Veröffentlichungen über die Proteinbedarfsdeckung bei veganer Ernährung in der wissenschaftlichen Literatur hinzu. Diese und hunderte weitere Athleten zeigen, dass es nicht nur in der Theorie funktioniert, sondern auch in der Praxis. Da die DGE Protein allerdings als einen der kritischen Nährstoffe bei veganer Ernährung nennt,1 wird in diesem Kapitel ausführlich dargestellt, wie eine vegane Ernährung ausreichend hochwertiges Protein enthalten kann und unter welchen Umständen eine rein pflanzliche Kost tatsächlich defizitär an Protein sein könnte.
Grundlegendes zu Protein
Das Wort Protein leitet sich vom griechischen Wort »Proteios« ab, was so viel bedeutet wie »an erster Stelle«. Die Namensherkunft signalisiert bereits die Sicht der Ernährungswissenschaft auf Protein seit seiner Entdeckung und Benennung. Die wichtigste Funktion der Proteine ist der Aufbau von Körpergewebe, aber sie werden im Körper ebenso für eine Reihe weiterer Aufgaben benötigt. In den meisten Nahrungsproteinen kommen 20 für den Menschen relevante Aminosäuren vor, aber nur acht davon können vom Körper nicht selbst gebildet werden, gelten daher als »essenziell« (überlebensnotwendig) und müssen zwingend oder »semiessenziell« bezeichnet. So wird beispielsweise die Aminosäure Histidin in manchen Veröffentlichungen als neunte essenzielle Aminosäure angeführt und in wieder anderen lediglich als semiessenziell. Sie ist für Erwachsene nicht essenziell, ist dies jedoch im Säuglingsalter. Alle weiteren der insgesamt 20 relevanten Aminosäuren sind deshalb nicht essenziell, weil sie vom Körper unter der Voraussetzung einer insgesamt ausreichenden Versorgungslage selbst gebildet werden können. Letztlich ist für den Körper also gar nicht das Protein selbst von Bedeutung, sondern lediglich bestimmte Aminosäuren.2 Da diese aber in der Regel über Nahrungsprotein und nicht in isolierter Form zugeführt werden, wird im Nachfolgenden vom Proteinbedarf gesprochen.
Die acht essenziellen Aminosäuren sind Phenylalanin, Isoleucin, Lysin, Valin, Methionin, Leucin, Threonin und Tryptophan. Um die ausreichende Zufuhr all dieser Aminosäuren sicherzustellen, wurden zwar von offizieller Seite auch für jede einzelne von ihnen separate Zufuhrempfehlungen erarbeitet, aber durch die Tipps zur bedarfsgerechten Lebensmittelauswahl zur Proteinversorgung aus diesem Kapitel muss man sich nicht weiter um diese einzelnen separaten Zufuhrempfehlungen bemühen, solange man die Gesamtzufuhr an Protein durch die Auswahl der richtigen pflanzlichen Lebensmittel beachtet zugeführt werden. Einige weitere Aminosäuren sind nur unter bestimmten Umständen essenziell und werden daher als »bedingt essenziell
in der
e.ine tägliche Zufuhr in Höhe von 0,83 g
Proteinbedarfsberechnung
Die offizielle Verzehrempfehlung für die tägliche Proteinzufuhr beträgt laut der DGE 0,8 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht für Personen mit Normalgewicht. 6 Dies deckt sich mit den Empfehlungen vieler weiterer Ernährungs- und Gesundheitsgesellschaften, wie die Empfehlung der World Health Organization (WHO), Protein pro Kilogramm Körpergewicht für gut verdauliche Proteine empfohlen wird. 7 Menschen mit Übergewicht sollten zur Berechnung ihres täglichen Proteinbedarfs nicht ihr tatsächliches Körpergewicht als Berechnungsgrundlage heranziehen, sondern ihr jeweiliges theoretisches Normal bzw. Idealgewicht. Ansonsten würden diese Personen ihren Proteinbedarf überschätzen. Das Idealgewicht kann nach unterschiedlichen Methoden wie beispielsweise dem Broca Index oder der Hamwi-Formel berechnet oder anhand von standardisierten, geschlechterspezifischen Tabellen ermittelt werden. 8 In den offiziell empfohlenen 0,8 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht ist außerdem bereits ein Sicherheitszuschlageinkalkuliert, um individuelle Schwankungen auszugleichen. Somit gelten diese Werte nicht als absolute Minimalzufuhr, sondern bereits als Optimalzufuhr. Die eigentlich benötigte tägliche Menge an Protein beträgt laut der European Food Safety Authority (EFSA) lediglich 0,66 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht unter der Voraussetzung der Zufuhr von gut verdaulichen und hochwertigen Proteinen.9
Wenn man von einer normalgewichtigen, 60 kg schweren weiblichen Person ausgeht, hätte sie laut der Empfehlung der DGE in Höhe von 0,8 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht einen täglichen Proteinbedarf von 48 g. Dies entspricht bei einer durchschnittlichen Kaloriendichte von 4,1 kcal für jedes Gramm Protein einer täglichen Zufuhr von knapp 19 7 kcal aus Proteinen pro Tag. Das wiederum sind bei einem durchschnittlichen Energiebedarf für Frauen in Höhe von 1.800-2.100 kcal pro Tag10 in Abhängigkeit des Aktivitätslevels etwa 10 % der Nahrungsenergie. Wie an späterer Stelle noch ausführlich dargestellt wird, empfehlen einige Quellen bei rein veganer Ernährung eine etwas höhere Zufuhr von 0,9 g pro kg Körpergewicht, weshalb zukünftig mit dieser Zahl gerechnet wird.
Sportler haben zwar in Summe einen höheren Proteinbedarf, jedoch haben sie auch einen gesteigerten Kalorienbedarf und so vergrößert sich durch die höhere Kalorienaufnahme auch die Proteinzufuhr in ausreichendem Maße, wenn die sogenannte »Protein-Energy Ratio«, also der prozentuale Anteil an Kalorien aus Proteinen im Verhältnis zur Gesamtkalorienaufnahme, ausreichend hoch ist. Wenn dieses Verhältnis 10 % oder mehr beträgt, genügt dies auch bei etwas geringerer Verwertbarkeit der Proteine. 11
Erhalten Veganer genügend Protein?
Die Antwort auf die Frage, ob eine rein pflanzliche Ernährung den Proteinbedarf des Menschen decken kann, gab der amerikanische Ernährungswissenschaftler Dr. David Mark Hegsted in seiner Veröffentlichung zum Proteinbedarf des Menschen bereits 1946. 12 Darin betonte er, dass eine auf Getreide basierende, rein pflanzliche Ernährung den Proteinbedarf des Menschen bei ausreichender Kalorienzufuhr decken kann. Er stützte sich dabei auf die Ergebnisse seiner Untersuchung von 26 Teilnehmern, die mit einer rein pflanzlichen Kost mit einem Proteinanteil von lediglich 0,5 g Protein pro kg Körpergewicht bereits eine positive Stickstoffbilanz erreichen konnten. Eine positive Stickstoffbilanz stellt dabei einen relevanten Parameter dar, um zu zeigen, dass ein Individuum ausreichend mit Protein versorgt ist.
Auch die Wissenschaftler Dr. Vernon Young und Dr. Peter Pellett bestätigten die Möglichkeit zur rein pflanzlichen Proteinbedarfsdeckung in ihrer 1994 erschienenen Arbeit über die Bedeutung der pflanzlichen Proteine in der menschlichen Ernährung. Diese Veröffentlichung zeigte ebenfalls, dass im Rahmen einer ausgewogenen, rein pflanzlichen Ernährung eine Unterversorgung mit Protein bei ausreichender Kalorienzufuhr nicht zu befürchten ist.11 Ferner wiesen die beiden auch schon damals auf die Gefahr hin, dass anhand der gängigen Tierversuche mit Ratten zur Beurteilung der Proteinqualität die Rolle der pflanzlichen Proteine in der Ernährung des Menschen potenziell unterschätzt werden könnte. Frühe Versuche zur Qualitätsmessung von Proteinen wurden hauptsächlich mit Nagetieren durchgeführt, an die man unterschiedliche Proteinarten verfütterte, um anhand ihres Wachstums Rückschlüsse auf die Proteinqualität zu ziehen. Da pflanzliche Proteine aber oft von jenen Aminosäuren weniger aufweisen, an denen Ratten einen höheren Bedarf als Menschen haben, können Fütterungsversuche mit Ratten die Wertigkeit von pflanzlichen Proteinträgern für den Menschen unterschätzen. 14 Am Ende ihrer Veröffentlichung listeten die beiden Wissenschaftler in einer übersichtlichen Tabelle alle gängigen Mythen über Proteine auf und zeigten, wie die Realität in Bezug auf diese Themen tatsächlich aussieht. Diese Vorgehensweise diente als Anregung, in diesem Buch am Ende jedes einzelnen Kapitels ebenfalls eine derartige Tabelle mit den häufigsten Mythen rund um das jeweilige Thema anzuhängen.
Auch haben mehrere Untersuchungen aus Großbritannien, Schweden, Deutschland 17, der Schweiz 18 und den USA 19 erneut bestätigt, dass vegan lebende Menschen im Durchschnitt mehr als 10 % ihrer Kalorien aus Protein beziehen und damit die offiziellen Empfehlungen für die tägliche Proteinaufnahme erreichen, wenn sie ihren Kalorienbedarf decken. Spätestens seit dem wegweisenden, erstmals 2003 erschienenen Positionspapier der amerikanischen Academy of Nutrition and Dietetics (AND, vormals American Dietetic Association, ADA) wurde auch von offizieller Seite bestätigt, dass eine vegane Ernährung bei entsprechend guter Zusammenstellung in jeder Phase des Lebenszyklus eine ausreichende Proteinversorgung sicherstellen kann. 20 Dieses Positionspapier wurde 2009 21 sowie zuletzt 2016 22 aktualisiert und empfiehlt seit der Erstveröffentlichung konstant eine vegane Ernährung für jede Person und jede Sportart in jeder Phase des Lebens. Auch andere Ernährungsgesellschaften wie beispielsweise die British Dietetic Association (BDA) sehen bei einer gut zusammengestellten veganen Kost in keiner Lebensphase irgendwelche Schwierigkeiten in Bezug auf die Proteinversorgung. 23 Die Dietitians Association of Australia (DAA) erwähnt in ihrer Stellungnahme zu veganer Ernährung das Thema Proteinmangel nicht einmal gesondert, sondern weist lediglich auf die Wichtigkeit einer guten Versorgung mit Eisen, Kalzium, Vitamin B12 und Omega-3-Fettsäuren hin. 24
Die American Heart Association (AHA) betont ebenfalls, dass man keine tierischen Produkte zu sich nehmen muss, um ausreichend versorgt zu sein, und dass pflanzliche Proteine genügend essenzielle Aminosäuren enthalten, solange man abwechslungsreich isst und seinen Kalorienbedarf deckt. 25
Pflanzliche Proteinlieferanten
Dass man als vegan lebende Person quantitativ genügend Protein bekommt, um seinen täglichen Bedarf zu decken, ist auch ganz einfach selbst nachzurechnen, indem man auf Seiten mit kostenlosen Nährwertrechnern wie Cronometer (www.cronometer.com) eine beliebige Auswahl an Hülsenfrüchten, Vollkorngetreiden, Nüssen und Samen in der Höhe der eigenen Kalorienbilanz eingibt. Man wird merken, dass man bereits weit vor dem Erreichen der Kalorienbedarfsgrenze ausreichend Protein zugeführt hat, um für die restlichen Kalorien noch ausreichende Mengen an proteinärmerem, aber sehr gesundem Obst und Gemüse für eine insgesamt bedarfsgerechte Ernährung einbauen zu können. Der Proteingehalt von verarbeiteten Lebensmitteln wie Tofu kann von Hersteller zu Hersteller allerdings erheblich variieren, daher sollte man bei diesen Produkten zur tatsächlichen Berechnung immer einen Blick auf die jeweiligen Nährwertangaben der Lebensmittelpackung werfen. Zu beachten gilt weiterhin, dass Trockenprodukte wie Linsen und Pasta durch das Kochen ihre Masse deutlich erhöhen und man daher bei der Proteinberechnung immer zwischen Trockengewicht (ungekocht) und dem Gewicht im gekochten Zustand unterscheiden sollte. Diese Verwechslung führte in der Vergangenheit auch im Internet immer wieder zu Grafiken mit Gegenüberstellungen vom Proteingehalt von Hülsenfrüchten und Fleisch, in denen plötzlich schwarze Bohnen fast doppelt so viel Protein enthielten wie Rindfleisch. Hier wurden jedoch getrocknete Bohnen mit rohem Rindfleisch verglichen, was ein unrealistisches Bild auf die Bohnen wirft, da die Gewichtszunahme beim Kochen der Bohnen wesentlich höher als die des Fleischs ist. Daher gilt es, gekochte Hülsenfrüchte mit zubereitetem Fleisch zu vergleichen. Hülsenfrüchte enthalten im gekochten Zustand immer noch genügend Protein und andere Nährstoffe und müssen auch dann nicht den Vergleich mit tierischen Proteinträgern scheuen. Abb. 5 zeigt die Gewichtszunahme von Trockenprodukten wie Hülsenfrüchten, Pasta, Getreide und weiteren Lebensmitteln durch die Zubereitung.
Um den Proteingehalt der einzelnen Lebensmittel im gekochten Zustand mithilfe der in der Abbildung gezeigten Faktoren zu berechnen, muss man zuvor in Nährwerttabellen die Proteinmenge im Trockenprodukt heranziehen und im Anschluss mithilfe eines Dreisatzes errechnen, wie viel Protein das zubereitete Produkt im Vergleich zum Trockenprodukt enthält. Wenn man beispielsweise rote Linsen mit einem Proteingehalt von 24 g pro 100 g Trockengewicht heranzieht, dann werden diese laut Abb. 5 mit dem Faktor 2,25 multipliziert, um in etwa auf ihr durchschnittliches Gewicht im gekochten Zustand zu kommen. So ergeben 100 g getrocknete Linsen im Durchschnitt 225 g gekochte Linsen, die weiterhin 24 g Protein enthalten. Diese 24 g sind durch das Kochen allerdings nicht mehr auf 100 g, sondern auf 225 g verteilt, weil die Linsen während der Zubereitung Wasser aufgenommen und so an Gewicht zugelegt haben. Daher enthalten die gekochten Linsen pro 100 g gerundet nur noch etwa 10 g Protein. Die genaue Höhe der Gewichtszunahme ist allerdings von Sorte zu Sorte ebenso wie in Abhängigkeit der genauen Einweich- und Garzeit sowie der verwendeten Wassermenge unterschiedlich und soll nur als ungefährer Richtwert dienen. Die dargestellten Werte sind Durchschnittswerte und derselbe Quinoa kann beispielsweise in Abhängigkeit der Einweich- und Kochzeit sein Gewicht um den Faktor 2,75 oder 3 oder sogar bis zu 3,25 erhöhen, wenn dieser sehr weich gekocht wird, nachdem er zuvor eingeweicht wurde. Ähnliche Schwankungen kann man auch bei anderen Trockenprodukten feststellen. Wenn man also genau wissen möchte, wie hoch die Gewichtszunahme anhand der eigenen präferierten Zubereitungsweise ausfällt, lohnt es sich, dies in der eigenen Küche zu testen, um so zukünftig genauere Berechnungen anstellen zu können.
Abb. 5: Faustregel zur Berechnung der Gewichtszunahme von Trockenware durch Kochen26
Gewichtsveränderungen bei getrockneten Getreiden und Hülsenfrüchten durch Kochen
Intaktes Vollkorngetreide (Dinkel, Hafer, etc.) x2
Hülsenfrüchte x2,25
Hülsenfrucht- & Getreidepasta x2,25
Amaranth x2,5
Quinoa/Buchweizen/Hirse x2,75
Couscous x3
Sonnenblumenhack & Sojaschnetzel (TVP) x3,25
Trockengewicht x Faktor = Gewicht in gekochter Form Gewicht in gekochter Form + Faktor = Trockengewicht
Genaues Gewicht abhängig von genauer Sorte, Einweich- und Garzeit
Die nachfolgende Abb. 6 zeigt den Proteingehalt einer Reihe von guten pflanzlichen Proteinlieferanten, wobei der Proteingehalt gängiger Trockenprodukte wie Hülsenfrüchte und Getreide bereits auf den Gehalt im gekochten Zustand umgerechnet wurde. So kann man einen ersten Überblick darüber erhalten, welche pflanzlichen Lebensmittel besonders gut dazu geeignet sind, den täglichen Proteinbedarf rein pflanzlich zu decken.
Wie durch Abb. 6 deutlich wird, enthalten einige pflanzliche Lebensmittel durchaus beachtliche Mengen an Protein. Die Spitzenreiter unter den pflanzlichen Proteinlieferanten wie Kürbiskerne, Hanfsamen, Erdnüsse und weitere stellen sehr große Mengen an Protein bereit, allerdings enthalten sie auch größere Mengen an Fett und damit an Kalorien, weswegen sie nicht die primäre Proteinquelle in einer veganen Ernährung darstellen sollten. Sie sind großartige Ergänzungen, aber die primären pflanzlichen Lebensmittel zur Proteinversorgung stellen Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide sowie aus ihnen hergestellte Produkte dar. Diese haben zwar etwas weniger Protein pro 100 g, allerdings auch weitaus weniger Kalorien durch ihren geringeren Fettanteil, wodurch sie relativ gesehen die besseren Proteinquellen sind.
Abb. 6: Proteingehalt ausgewählter pflanzlicher Lebensmittelß28,29
Zufuhrempfehlung (m/w) | |||||||
Kürbiskerne | 35 | ||||||
Hanfsamen {geschält) | 30 | ||||||
Erdnüsse | 25 | ||||||
Leinsamen | 24 | ||||||
Sonnenblumenkerne | 22 | ||||||
Cashewkerne | 20 | ||||||
Mandeln | 19 | ||||||
Seitan (zubereitet) | 18 | ||||||
Sonnenblumenhack (zubereitet) | 17 | ||||||
Sojaschnetzel (TVP. zubereitet) | 16 | ||||||
Sojabohnen (geKochi) | 15 | ||||||
Tempeh (zubereitet) | 16 | ||||||
Tofu {fest) | 13 | Kürbiskerne | |||||
Haferflocken | 13 | 35 g Protein/ 100 g | |||||
Rote-Linsen-Pasta (gekocht) | ll | ||||||
Linsen (gekocht) | 10 | ||||||
Tofu(halbfest) | 9 | ||||||
Kichererbsenpasta (gekocht) | 9 | ||||||
Kichererbsen (gekocht) | 8 | ||||||
Vollkornbrot | 8 |
Amaranth -6 Vollkornpasta (gekocht) – 6
Quinoa (gekocht) – 5
Hanfsamen
Seidentofu- | S | 30g Protein/ 100 g | ||||||
Hefeflocken (10g) – | 5 | |||||||
Sojajoghurt – | , | |||||||
Sojamilch- | 3 | |||||||
Blattspinat – | 3 | |||||||
Champignons – | 3 | |||||||
Brokkoli (gekocht) – Tomate ■ | 3 | |||||||
0 | 10 | 20 | 30 | 40 | 50 | 60 |
l
Proteingehalt in Gramm pro 100 Gramm
·o.9 g Protein pro kg Körpergewicht (54 g bei 60 kg)
Wie einfach man die Zufuhrempfehlung an Protein in einer veganen Ernährung durch Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide ergänzt durch Nüsse und Samen decken kann, macht das nachfolgende Beispiel deutlich. Wenn die 60 kg schwere Testperson sich zum Frühstück beispielsweise für Rührtofu aus 120 g Tofu (15 g Protein) mit 100 g Pilzen (3 g Protein), 10 g Kürbiskernen (3,5 g) und zwei Scheiben Pumpernickel (5 g Protein) entscheidet und zum Mittagessen 180 g gekochte Linsenpasta (Trockengewicht 80 g, 22 g) mit 200 g Tomatensauce (3 g Protein) und 20 g Cashews (4 g) kocht, hat sie nach dieser sehr vereinfachten Rechnung bereits mehr als 55 g Protein zu sich genommen. So hat sie bereits innerhalb der ersten Tageshälfte mehr als ihren kompletten Proteinbedarf gedeckt. Statt dieser Zusammenstellung wären auch Vollkornbrot mit Hummus (mit Tahini) und Paprika oder Haferflocken mit Sojamilch, Nüssen, geschroteten Leinsamen und Obst zum Frühstück ein proteinreicher Start gewesen. Zum Mittagessen könnte sie beispielsweise einen schnellen Quinoasalat mit Blattspinat und Erbsen mit einem Erdnussdressing oder eine Linsensuppe mit braunem Reis und gerösteten Mandelsplittern essen. Zum Abendessen könnte sie sich für ein cremiges Gemüse Kichererbsencurry mit ein wenig Mandelmus und Hirse als Beilage oder für eine Gemüsepfanne mit Tempeh und Quinoa und gerösteten Sonnenblumenkernen entscheiden. Egal, was auch immer sie auswählt, solange sie Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte, ergänzt durch Nüsse und einige Samen zum täglichen Bestandteil ihrer Ernährung macht, ist sie in Bezug auf ihre Proteinversorgung bestens bedient. Bei all dem berechtigten Fokus auf Protein darf allerdings auch die Gemüse- und Obstzufuhr nicht vernachlässigt werden. Beide Lebensmittelgruppen bieten zwar keine großen Mengen an Protein, aber sie sind reich an einer ganzen Reihe von Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen und sollten daher ebenfalls eine wichtige Rolle in jeder veganen Ernährung spielen.
Pflanzliches Protein vs. tierisches Protein
In der oft einseitig geführten Diskussion, ob nun tierische oder pflanzliche Lebensmittel die besseren Proteinlieferanten sind, geht sehr oft verloren, dass man Lebensmittel nicht nur ausschließlich aufgrund ihres Proteingehaltes verzehrt. Wenn man Walnüsse isst, dann ist nicht nur ihr Proteinanteil von Interesse, sondern auch ihr hoher Anteil an Omega-3-Fettsäuren und Vitamin E, und wenn man über Tempeh spricht, dann sollte man neben seinem Proteingehalt auch die Ballaststoffe, seine sekundären Pflanzenstoffe und das gute Fettsäurespektrum schätzen. Lebensmittel kommen immer als Nährstoffpaket und sollten auch als solches gesehen werden. Daher ergeben Vergleiche darüber, welches Lebensmittel nun mehr Protein hat, nur bedingt Sinn. Dennoch ist es von Bedeutung, an dieser Stelle die zwei unterschiedlichen Bewertungsgrundlagen zu erwähnen, nach denen proteinreiche Lebensmittel eingestuft werden können. Die eine Methode bezieht sich auf ihren absoluten Proteingehalt, der in dieser Form auch auf den Nährwertangaben auf der Verpackung des Lebensmittels zu finden ist. Wenn man unverpackte Ware kauft oder aus einem anderen Grund kein Proteingehalt auf der Verpackung ausgezeichnet ist, genügt ein Blick in eine Nährwerttabelle, die man von vielen unterschiedlichen Autoren beziehen kann. Die andere, ebenso relevante Methode bezieht sich auf den Proteingehalt im Verhältnis zur Gesamtkalorienzahl des Lebensmittels. Da tierische Produkte keine Ballaststoffe enthalten, ist ihr Kaloriengehalt meist dichter konzentriert als es bei pflanzlichen Lebensmitteln der Fall ist. Da der tägliche Nahrungsbedarf in den allermeisten Fällen in Kalorien gemessen wird, ist diese Einschätzung durchaus von Bedeutung und so ist das tatsächliche kalorische Verhältnis von Fett zu Protein und Kohlenhydraten zueinander wichtig. Ein Gramm Fett wiegt natürlich gleich viel wie ein Gramm Protein oder ein Gramm Kohlenhydrate, aber es hat mehr als doppelt so viele Kalorien wie diese beiden. Abb. 7 macht diesen Unterschied im Proteingehalt bezogen auf Gewicht und Kalorien am Beispiel von gekochten Linsen und gekochten Eiern deutlich.
Abb. 7: Proteingehalt gekochter Linsen und Eier nach Gewicht und Kalorien im Vergleich
10,4 g Protein / 100 g
–
f.•I o t Eier
12,6 g Protein/ 100 g
Proteingehalt in Gramm
0,7 g Fett (1,9 %)
1
7,6g
Proteingehalt in Kalorien
6,5 kcalFett (4,7 %)
15,2 kcal Ballaststoffe
Proteingehalt
1n Gramm
Proteingehalt
1n Kalorien
10,4g
Protein
(28.3%)
Ballaststoffe
(20.7%)
42,6 kcal Protein (30.9%)
(11.0 %)
12,6g
Protein
(51.9%)
10,6g
Fett
(43.6%)
51,7 kcal Protein (33,4 %)
98,6 kcat Fett (63,79′)
18 g Kohlenhydrate (49.1%)
73,8 kcal Kohlenhydrate (53,4 %)
1,1 g Kohlenhydrate (4,5 %)
0 g Ballaststoffe
4,5 kcalKohlenhydrate (2,9 %)
0 g Ballaststoffe
Ein Ei liefert zwar viel Protein, aber wesentlich mehr Kalorien aus Fett als aus Protein.
Wie die Abbildung zeigt, enthalten gekochte Eier (verzehrbarer Anteil ohne Schale) pro 100 g etwa 12,6 g Protein, 10,6 g Fett und knapp 1,1 g Kohlenhydrate.30 So haben Eier, bezogen auf die Menge an Protein, Fett und Kohlenhydrate in Gramm ein Verhältnis von 51,9 % Protein zu 43,6 % Fett, 4,5 % Kohlenhydraten und O % Ballaststoffe. Daraus könnte man den Rückschluss ziehen, dass Eier zu knapp über die Hälfte aus Protein bestehen und in Bezug auf das Gewicht der Makronährstoffe tun sie das auch. Da Fett mit 9,3 kcal aber durchschnittlich mehr als doppelt so viel Kalorien wie Proteine und Kohlenhydrate (jeweils etwa 4,1 kcal/g) liefert, sieht das Verhältnis, bezogen auf die Kalorienmenge, anders aus und Eier kommen dabei nur mehr auf einen Proteingehalt von etwa einem Drittel. In Bezug auf die Kalorien bestehen Eier nämlich aus etwa 33,4 % Protein (51,7 kcal), 63,7 % Fett (98,6 kcal), zu 2,9 % aus Kohlenhydraten (4,5 kcal) und weiterhin zu O % (0 kcal) aus Ballaststoffen. Man merkt in dieser Betrachtungsweise also, dass ein Ei auch in diesem Kontext zwar viel Protein liefert, aber im Grunde liefert es noch wesentlich mehr Kalorien aus Fett als aus Protein.
Die gekochten roten Linsen enthalten pro 100 g etwa 10,4 g Protein, 0, 7 g Fett, 18,0 g Kohlenhydrate und 7,6 g Ballaststoffe).1 Somit haben Linsen, bezogen auf die Menge der Makronährstoffe untereinander, ein Verhältnis von 28,3 % Protein zu 1,9 % Fett, 49,1 % Kohlenhydrate und 20,7 % Ballaststoffe. Ballaststoffe sind zwar auch Kohlenhydrate, aber da sie der Organismus nur in sehr geringem Maße zur Energiegewinnung nutzen kann, werden sie in den gängigen Nährwerttabellen nur mit 2 anstatt mit 4,1 kcal/g gezählt. Wenn man den Gehalt der Makronährstoffe im prozentualen Verhältnis in Bezug auf den Kaloriengehalt ihrer Makronährstoffe setzt, dann enthalten Linsen 30,9 % Protein (42,6 kcal), 4,7 % Fett (6,5 kcal), 53,4 % Kohlenhydrate (73,8 kcal) und 11,0 % Ballaststoffe (15,2 kcal). Man sieht anhand von Abb. 7 also, dass sich der prozentuale Proteingehalt im Ei zwischen den beiden Betrachtungsweisen deutlich unterscheidet (51,9 % vs. 33,4 % Proteingehalt). Dies liegt am höheren Anteil an kalorienreichem Fett im Eigelb im Vergleich zum geringen Fettgehalt der Linsen. Im prozentualen Verhältnis weisen die Linsen mit knapp einem Drittel an Protein schon beinahe denselben Proteingehalt der Eier auf. Noch näher kommen sie ihrem Wert, wenn man im nächsten Schritt ausrechnet, wie viel mehr Linsen man aufgrund ihrer etwas geringeren kalorischen Dichte zu sich nehmen kann, um auf die gleiche Kalorienmenge wie beim Ei zukommen.
Gekochte Eier enthalten durchschnittlich 15 5 kcal/100 g verzehrbarem Ei (ohne Schale).32 Frisch gekochte rote Linsen haben pro 100 g circa 13 8 kcal.TI Man kann also etwa 112 g Linsen essen, um auch durch Linsen dieselbe Kalorienmenge der Eier in Höhe von 15 5 kcal aufzunehmen, und erhält dadurch 11,6 g Protein, was wiederum nur 1 g weniger als im Ei ist.
Proteinmangel heißt Kalorienmangel
Proteinmängel sind in den meisten Fällen an Kalorienmängel geknüpft und in ausgewogenen veganen Ernährungsweisen nicht zu erwarten. Allerdings zeigt beispielsweise die Deutsche Vegan-Studie (DVS), dass die dort untersuchten Veganer im Durchschnitt zwar über 10 % ihrer Nahrungsenergie in Form von Protein aufgenommen haben, aber dennoch etwa ein Viertel der Probanden nicht die empfohlene tägliche Gesamtmenge für Protein verzehrte.34 Das lag allerdings schlicht daran, dass diese Personen nicht genügend Kalorien zu sich genommen haben. Relativ gesehen hatten sie also durchaus genügend Protein konsumiert und sie hätten mit dieser Nahrungsmittelauswahl ihren Proteinbedarf auch decken können, wenn sie genug davon gegessen hätten, um auch ihren Kalorienbedarf zu decken. Daher kann man vereinfacht sagen: Proteinmangel in einer veganen Ernährung heißt zumeist auch Kalorienmangel und beides kann durch ausreichende Kalorienzufuhr in Form von abwechslungsreich zusammengestellten vollwertigen pflanzlichen Lebensmitteln vermieden werden.
Eventuelle Ausnahmen zu dieser verallgemeinernden Aussage bilden lediglich einige wenige, sehr restriktive Formen der veganen Ernährung. Zu ihnen gehören unter anderem stark eingeschränkte Rohkosternährungsformen, die überwiegend oder gänzlich auf Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte verzichten. Wie die Daten der Gießener Rohkoststudie zeigen, kommt Protein ebenso wie Nahrungsenergie bei einigen der rein rohköstlich essenden Personen demnach tatsächlich zu kurz.35 Auch reine Frutarier, die den sehr restriktiven Vorgaben von Ernährungskonzepten wie der 80/10/10-Diet nach Dr. Douglas Graham folgen, laufen Gefahr, zu wenig Protein und zu wenig andere essenzielle Nährstoffe aufzunehmen. 80/10/10 steht in diesem Zusammenhang für das Makronährsto:ffverhältnis Kohlenhydrate/Fett/ Protein. Auch wenn diese Ernährung 10 % Protein anpeilt, erreichen einige ihrer Anhänger aufgrund des großen Obstanteils und der geringen Menge an Blattgemüse, Nüssen und Samen und dem gänzlichen Fehlen von Vollkorngetreiden und Hülsenfrüchten diese 10 % nicht. Aussagen in der 80/10/10- Diet wie beispielsweise »Früchte enthalten alle Nährstoffe, die unser Körper braucht, und zwar genau in den von uns benötigten Verhältnissen«36 sind schlichtweg falsch und vermitteln ein falsches Bild einer bedarfsgerechten pflanzlichen Ernährung. Selbst in Kombination mit reichlich dunkelgrünem Blattgemüse erreicht man rein rechnerisch im Rahmen einer kaloriendeckenden 80/10/10-Ernährung in einigen Fällen nicht die wünschenswerte Zufuhr an Protein und einigen anderen essenziellen Nährstoffen. Lediglich durch eine sehr hohe Zufuhr von Nüssen und Samen könnte man die Zufuhrempfehlung an Protein erreichen, wodurch man allerdings die Vorgabe der 80/10/10-Ernährung in Bezug auf die 10 %-Grenze an Fett bei weitem überschreiten würde.
Man kann dies erneut sehr einfach selbst verifizieren, indem man eine beliebige Zusammenstellung von Obst, (Blatt-)Gemüse und kleinen Mengen an Nüssen in Höhe des eigenen Kalorienbedarfs auf www.cronometer.com eingibt und sich die Protein-, Aminosäuren- und generelle Nährstoffzufuhr errechnen lässt. Die in diesen Veröffentlichungen getätigten negativen Behauptungen gegen den Konsum von Hülsenfrüchten und Vollkorngetreiden entsprechen außerdem nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand, wie in den Kapiteln zu Hülsenfrüchten und Vollkorngetreide jeweils gezeigt wird, und so gibt es keinen Grund, diese beiden gesunden und wichtigen Lebensmittelgruppen aus dem veganen Speiseplan zu streichen. Wenn im Laufe dieses Buches also von einer veganen Ernährung gesprochen wird, dann meint dies keineswegs irgendwelche speziellen, sehr restriktiven Ausprägungen einer pflanzlichen Ernährung, sondern eine ausgewogene, vollwertige, pflanzliche Ernährung mit reichlich Vollkorngetreiden, Hülsenfrüchten, Gemüse, Obst, Nüssen und Samen.
Die optimale Proteinversorgung
Obwohl es rein rechnerisch kaum möglich ist, das Mindestmaß an Protein im Rahmen einer vollwertigen, kaloriendeckenden veganen Ernährung zu unterschreiten, sollte das Ziel dennoch keine ausreichende, sondern eine optimale Proteinversorgung sein. Auch diese lässt sich problemlos rein pflanzlich gestalten und erfordert nur das Beachten einiger weniger Punkte. Neben der Einhaltung der Kalorienzufuhr ist es vor allem ein einziges wesentliches Hindernis, das zwischen manchen Veganern und deren optimaler Versorgung mit Protein steht: Der mangelnde Verzehr von Hülsenfrüchten. Hülsenfrüchte sind in vielerlei Hinsicht ernährungsphysiologisch wertvoll, aber in diesem Kontext ist vor allem ihr relativ hoher Gehalt an der essenziellen Aminosäure Lysin von großer Bedeutung. 37 Viele vegan lebende Menschen essen zu selten Hülsenfrüchte und versäumen daher die Gruppe der besten Protein- und Lysinlieferanten in der pflanzlichen Ernährung. Dies trifft vor allem dann zu, wenn man ihren Proteingehalt im Verhältnis zu ihrem Kaloriengehalt betrachtet. Nüsse und Samen enthalten auch viel Protein und teils auch viel Lysin, aber liefern pro 100 g aufgrund ihres höheren Fettgehaltes wesentlich mehr Kalorien.
Lysin ist relevant für den Aufbau von Muskelprotein, einigen Hormonen und Enzymen 38 sowie für die Wundheilung 39 und den optimalen Kalzium-40 und Eisenstoffwechsel 41 im Organismus und kann vermutlich auch bei Haarausfall eine protektive Rolle spielen 42. Laut der WHO benötigt der Mensch etwa 30 mg Lysin pro kg Körpergewicht (inkl. Sicherheitszuschlag). 43 Im Falle der 60 kg schweren Beispielperson wären dies 1.800 mg pro Tag. Würde die Beispielperson versuchen, ihren Lysingehalt ohne Hülsenfrüchte, sondern beispielsweise auf Basis von Getreide zu erreichen, wäre dies zwar möglich, aber nicht ganz so spielend umsetzbar wie mit Hülsenfrüchten. Wenn sie auf Hülsenfrüchte zurückgreifen würde, bräuchte sie lediglich etwa 190 g gekochte Erbsen oder 200 g gekochte Mungbohnen, um ihren Lysinbedarf in Höhe von 1.800 mg zu decken. So viel muss aber selbstverständlich niemand essen, da ja auch andere Lebensmittel im Speiseplan Lysin liefern, aber es zeigt, welch gute Lysinlieferanten sie sind. Um diesen Bedarf mit Getreide zu decken, müsste sie etwa 600 g Vollkornbrot oder 400 g Haferflocken essen. In Form von Nüssen müsste sie 240 g Cashewkerne oder 310 g Mandeln essen, was aufgrund der hohen Kalorienmenge der Nüsse aber beinahe ihren gesamten Kalorienbedarf des Tages decken würde.44 Der Protein- und Lysingehalt von Obst und Gemüse ist sehr gering und so wären die Lysingehalte hier noch wesentlich geringer. Abb. 8 zeigt einige Lysinwerte von ausgewählten Lebensmitteln zur besseren Vergleichbarkeit.
Abb. 8: Lysingehalt ausgewählter pflanzlicher Lebensmittel45
Bewertung von Proteinen
Protein aus pflanzlichen Quellen wurde in der Vergangenheit oft als minderwertig im Vergleich zu tierischem Protein dargestellt. Diese Annahme entstammt allerdings aus Versuchen zur Bewertung von Proteinen, die alle starke Limitierungen aufweisen und so die tatsächliche Bedarfsdeckung durch pflanzliche Proteine nicht adäquat abbilden können. Es gab im Laufe der vergangenen Jahrzehnte im Wesentlichen drei relevante Bewertungssysteme zur Klassifizierung von Proteinen: Das Protein-Effizienz-Verhältnis (PEV), die biologische Wertigkeit (BW) und den PDCAAS (Protein Digestibility Corrected Amino Acid Score).
Das PEV bewertet ein Protein danach, wie sehr es das Wachstum von Ratten in Fütterungsversuchen unterstützt. Allerdings haben Ratten und andere Nagetiere im Vergleich zum Menschen einen weit höheren Bedarf an gewissen schwefelhaltigen Aminosäuren, wodurch die Ergebnisse aus den PEV-Messungen den Proteinbedarf des Menschen überschätzen und pflanzliche Proteine aufgrund ihres verhältnismäßig geringeren Gehalts an diesen schwefelhaltigen Aminosäuren unterschätzen.46 Dies ist ein gutes Beispiel für die starken Limitierungen von Tierversuchen und die oftmals fehlende Übertragbarkeit auf den Menschen, weswegen Tierversuche nicht nur ethisch fragwürdig sind, sondern häufig auch in Bezug auf ihre Ergebnisse irreführend sein können.
Das vermutlich bekannteste Bewertungssystem für Proteine ist die sogenannte biologische Wertigkeit. Diese beurteilt, wie effektiv der Körper ein Nahrungsprotein verwertet. Optimal verwerten kann der Körper ein Nahrungsprotein, wenn es einen hohen Gehalt an essenziellen Aminosäuren hat, die dem Bedarf des Menschen
bestmöglich entsprechen.47 Auch dieses System hat gewisse Limitierungen, da durch einige Zubereitungsmethoden wie das Keimen48 die Konzentration an essenziellen Aminosäuren in Hülsenfrüchten und Getreiden steigt. Ebenso wie der nachfolgend dargestellte PDCAAS muss außerdem bei der Interpretation der biologischen Wertigkeit stets das Aminosäurespektrum der gesamten Tageszufuhr an Stelle des Spektrums eines einzelnen Lebensmittels oder einer einzelnen Mahlzeit bewertet werden. Das ist wichtig, weil sich die Aminosäurespektren unterschiedlicher Lebensmittel im Laufe des Tages gegenseitig vervollständigen und damit aufwerten können.
Der PDCAAS (Protein Digestibility Corrected Amino Acid Score) ist der aktuelle mehrheitliche Konsens zur Bewertung von Nahrungsproteinen und beurteilt sowohl die Verdaulichkeit als auch die Aminosäurenzusammensetzung des Proteins im Verhältnis zum tatsächlichen Aminosäurenbedarf des Menschen.49 Allerdings wird in den meisten Proteinbewertungen anhand des PDCAAS das Zusammenspiel unterschiedlicher Nahrungsproteine und deren gegenseitige Aufwertung ebenso wenig wie die Unterschiede und Veränderungen in der Verdaulichkeit durch die Zubereitung abgebildet. Das Kochen von pflanzlichen Proteinträgern wie Hülsenfrüchten kann einige der verdauungshemmenden Stoffe wie Enzym-Inhibitoren durch das Erhitzen drastisch reduzieren und so die Verdaulichkeit steigern.50 Im Vergleich zu ihrem Rohzustand kann die Verdaulichkeit des Proteins von Hülsenfrüchten durch das Kochen um durchschnittlich etwa 15 % erhöht werden und wenn die Hülsenfrüchte vor dem Kochen zwölf Stunden eingeweicht werden, erhöht sich ihre Verdaulichkeit nach dem Einweichen und Kochen sogar insgesamt um 25 %. In einer anderen Untersuchung konnten Kidneybohnen ihren PDCAAS-Wert durch das Erhitzen sogar fast verdoppeln. 52
Egal, ob man nun einzelne Lebensmittel mit einem hohen oder niedrigen PDCAAS verzehrt – am Ende sind diese Werte im Alltag von Menschen mit kaloriendeckender, ausgewogener veganer Ernährung nicht von solch großer Bedeutung, wie es bei all den reduktionistischen Proteinexperimenten erscheinen mag. Diese Experimente wurden bereits in der Vergangenheit dafür kritisiert, dass sie den Aminosäurenbedarf (vor allem an Lysin) womöglich überschätzen und damit zu Empfehlungen führen, die vielleicht sogar etwas zu hoch gegriffen sind.53Außerdem berücksichtigen sie weder die Adaptionsfähigkeit des Organismus an unterschiedlich hohe Proteinzufuhren noch die vielen weiteren Einflussgrößen durch Zubereitung und Kombinationen in ausreichendem Maß.
Durch eine geringe Erhöhung der täglichen Proteinzufuhr, wie sie an späterer Stelle für vegan lebende Menschen als Vorsichtsmaßnahme vorgeschlagen und erklärt wird, können darüber hinaus ohnehin eventuelle geringere Wertigkeiten leicht kompensiert werden und so sollte die ausreichende Proteinversorgung beim Beachten der einfachen Handlungsempfehlungen in diesem Kapitel keine große Schwierigkeit darstellen.
Proteinkombinationen
Wenn Proteine überwiegend aus einer einzelnen Quelle bezogen werden und diese Quelle die essenziellen Aminosäuren nicht in einem ausreichenden Verhältnis zum menschlichen Bedarf enthält, kann es in der Theorie tatsächlich zu einem Mangel kommen. Wenn sich jemand also hauptsächlich nur von einer Getreidesorte ernähren würde, wäre dies nicht bedarfsdeckend in Bezug auf eine ganze Reihe an Nährstoffen und auch die Aminosäurenzufuhr würde darunter leiden.54 Wenn man allerdings nicht nur Getreide oder nicht nur Hülsenfrüchte isst, sondern diese beiden Grundnahrungsmittel zusammen mit einer Nuss- und Samenauswahl über den Tag verteilt verzehrt, dann können sich diese pflanzlichen Proteinträger untereinander ergänzen und ihre jeweiligen limitierenden Aminosäuren gegenseitig ausgleichen und so ihre biologische Wertigkeit erhöhen.
Das Spiel der Proteinkombination ist eigentlich ganz einfach erklärt: Grundsätzlich ist zwar richtig, dass alle pflanzlichen Proteine zumeist alle essenziellen Aminosäuren enthalten, aber manche von ihnen oft in einer zu geringen Menge, so dass sie als »unvollständig« bezeichnet werden. Die Aminosäure, die im Verhältnis zum Bedarf des menschlichen Körpers am geringsten in einem Protein vorhanden ist, wird als sogenannte limitierende Aminosäure bezeichnet und ist für die geringere biologische Wertigkeit mancher pflanzlicher Proteine verantwortlich. 12. Würde man sich beispielsweise ausschließlich von Weizen ernähren, würde man primär zu wenig von der essenziellen Aminosäure Lysin für eine optimale Verwertung des Proteins aufnehmen. Auch Threonin, Methionin und Tryptophan wären nicht im optimalen Maße vorhanden und wären nach Ausgleich des Lysindefizits die nächsten limitierenden Aminosäuren. Diesen Umstand stellt Abb. 9 zum besseren Verständnis bildlich dar.
Proteinempfehlungen für Veganer
Trotz der Steigerung der Verdaulichkeit von pflanzlichem Protein durch das Kochen sowie der ergänzenden Wirkung von Komplementärproteinen empfehlen manche Veröffentlichungen zur Sicherheit, die Zufuhrempfehlung an Protein für vegan lebende Menschen von 0,8 g pro kg Körpergewicht auf 1 g pro kg Körpergewicht zu erhöhen, um unter allen Umständen die Proteinversorgung zu gewährleisten.62 Andere Veröffentlichungen empfehlen eine Erhöhung um lediglich 5-10 % bei rein pflanzlicher Ernährung, was gerundet etwa 0,9 g/kg Körpergewicht bedeuten würde.63 Andererseits ergab eine Metaanalyse, dass auch im Rahmen einer ausschließlich pflanzlichen Proteinzufuhr bei der Kombination unterschiedlicher Komplementärproteine (z. B. Getreide mit Hülsenfrüchten) nicht von der Notwendigkeit einer höheren Proteinzufuhr auszugehen ist.64 Für die Beispielperson mit 60 kg Körpergewicht würde eine Erhöhung auf 0,9 g/kg Körpergewicht eine Erhöhung der täglichen Gesamtzufuhr an Protein von 48 g auf 54 g bedeuten und eine Erhöhung auf 1 g/kg Körpergewicht würde den Gesamtbedarf auf 60g erhöhen. Alle drei Empfehlungen sind durch eine rein pflanzliche Ernährung umsetzbar.
Um die tägliche Zufuhr von Protein leicht zu erhöhen, ist der Verzehr von gering verarbeiteten Sojaprodukten für alle Menschen, die nicht an einer Sojaallergie leiden, eine gute Empfehlung, aber auch alle anderen Hülsenfrüchte können einen wertvollen Beitrag leisten. Gering verarbeitet meint Produkte wie Sojabohnen, Edamame, Tofu und Tempeh. Trotz der höheren Verarbeitung sind aber auch zucker- und ölfreie Sojamilch und Sojajoghurt eine gute Alternative. Schon das Ersetzen von beispielsweise einer Portion Reismilch (0,1 g Protein pro 100 ml) durch Sojamilch (3,5 g pro 100 ml) im Müsli kann bei der Verwendung von 300 ml Pflanzenmilch bereits einen Unterschied von über 10 g Protein bei derselben Flüssigkeitsmenge machen. Ein paar knusprige geröstete Kichererbsen über dem Salat, etwas Tempeh zur Gemüsepfanne, Tofu zum Gemüsecurry oder ein Teil Hülsenfruchtpasta anstatt Getreidepasta sind nur ein paar Ideen, wie man im Grunde jedes Gericht durch die Zugabe von Hülsenfrüchten zu einer guten Proteinquelle machen kann, ohne das eigentliche Gericht stark zu verändern oder die Zufuhrmenge zu sehr zu erhöhen.
Wie die AND seit 2003 iihnrem Positionspapier zu vegetarischer und veganer Ernährung offiziell bestätigt, kann eine vegane Ernährung den Proteinbedarf von Menschen in allen Lebenslagen und bei jeder Sportart decken.65 Tab. 1 gibt einen Überblick über die Proteinempfehlungen der DGE, die entsprechend der unterschiedlichen Empfehlungen für vegan lebende Personen um 10 % auf 0,9 g bzw. 25 % auf 1 g pro kg Körpergewicht angepasst wurden, um einen Überblick zu schaffen, in welcher Größenordnung die tägliche Gesamtproteinzufuhr von vegan lebenden Menschen sich in unterschiedlichen Phasen des Lebenszyklus bewegen sollte. Da die Datenlage nicht eindeutig für eine der drei Varianten steht, bleibt es jeder Person selbst überlassen, wo sie sich einreihen möchte. Die goldene Mitte zwischen 0,8 g und 1 g in Höhe von 0,9 g/kg Körpergewicht für Erwachsene mag für viele einen guten Mittelweg darstellen, der den Sicherheitspuffer noch etwas erhöht und gleichzeitig ohne größere Anstrengungen erreichbar ist.
Personengruppe | Zufuhrempfehlung | 10¾ Erhöhung | 25% Erhöhung |
nach DGE | |||
Säuglinge | |||
0 bis unter 1 Monat | 2,5 | Keine Erhöhung während der Stillzeit | |
1 bis unter 2 Monate | 1,8 | Keine Erhöhung während der Stillzeit | |
2 bis unter 4 Monate | 1.4 | Keine Erhöhung während der Stillzeit | |
4 bis unter 12 Monate | 1,3 | 1,4 | 1,6 |
Kinder 1 bis unter 4 Jahre | 1,0 | 1,1 | 1,3 |
4 bis unter 15 Jahre | 0,9 | 1,0 | 1,1 |
15 bis unter 19 Jahre | 0,8 (w) / 0,9 (m) | 0,9 (w) / 1,0 (m) | 1,0 (w) / 1,1 (m) |
Erwachsene und Senioren 19 bis unter 65 Jahre | 0,8 | 0,9 | 1,0 |
65 Jahre und älter | 1,0 | 1,1 | 1,3 |
Athleten | |||
Ausdauerathleten | 1,0 | 1,1 | 1,3 |
Intermittierende Sportarten | 1,4 | 1,5 | 1,8 |
Kraftsportler/Bodybuilder | 1,6 | 1,8 | 2,0 |
Schwangerschaft und Stillzeit Schwangerschaft (ab 2. Trimester) | 0,9 | 1,0 | 1,1 |
Schwangerschaft (ab 3. Trimester) | 1,0 | 1,1 | 1,3 |
Stillzeit | 1.2 | 1,3 | 1,5
|
Tab. 1: Proteinempfehlungen in Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag 66
Wie Tab. 1 zeigt, haben Frauen in der Schwangerschaft und Stillzeit einen erhöhten Proteinbedarf. Während sich der Bedarf an einigen Nährstoffen in der Schwangerschaft durchaus verdoppelt, ist dies bezogen auf Protein allerdings nicht der Fall. Die für nicht-schwangere Frauen empfohlene Tagesmenge an Protein erhöht sich in der Schwangerschaft um lediglich 20 % und in der Stillzeit um 35 % und wurde entsprechend den Empfehlungen für vegane Schwangerschaften nach oben angepasst.67 Säuglinge haben im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht den mit Abstand höchsten Bedarf an Protein, der in den ersten sechs Monaten der exklusiven Stillzeit allerdings ohnehin über die Muttermilch gedeckt wird. 68
In den Folgemonaten und -jahren verringert sich sukzessive der prozentuale Proteinbedarf des Menschen, bis er mit etwa dem Erreichen der Volljährigkeit auf den Wert von 0,8 g/kg Körpergewicht sinkt, wo er bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres konstant bleibt. Offiziell wird von Seiten der D-A-CH-Referenzwerte auch Menschen ab dem 65. Lebensjahr eine etwas höhere Proteinzufuhr empfohlen.69 Einige weitere Veröffentlichungen bestätigen diese leicht erhöhte Zufuhrempfehlung im Alter und manche Quellen empfehlen sogar eine Erhöhung um bis zu 30 % auch bei mischköstlicher Ernährung.70 Andere Wissenschaftler empfehlen zumindest eine moderate Erhöhung auf 1 g/kg Körpergewicht bei Mischkost.71, 72 Diese moderate Erhöhung wurde in der vorangegangenen Tabelle übernommen und entsprechend an die Empfehlung für vegan lebende Menschen angepasst. Hochaktiven Athleten wird von der International Society of Sports Nutrition (ISSN) eine wesentlich höhere Proteinzufuhr als der Normalbevölkerung empfohlen.73 Darin empfehlen die Autoren eine Proteinzufuhr von 1,0-1,6 g/kg für Ausdauerathleten, 1,4- 1,7 g/kg für intermittierende Sportarten wie Ballsport und Kampfsportarten mit periodischer Ausdauer- und Kraftleistung sowie eine Menge von 1,4-2 g/kg für Kraftsportler.
Minimal- und Maximalzufuhr an Protein
Veganer nehmen zwar im Durchschnitt weniger Protein zu sich als Mischköstler, jedoch bedeutet weniger nicht zwangsläufig zu wenig. In einer vergleichenden Untersuchung aus der Schweiz verzehrte die omnivore Gruppe zwar durchschnittlich 85 g/Tag und die vegane Gruppe nur 65 g,74 aber diese 65 g spiegelten 11 % ihrer durchschnittlichen Kalorienzufuhr wider und waren damit im Rahmen einer isokalorischen veganen Ernährung bedarfsdeckend. In einer weiteren Untersuchung nahmen Veganer im Durchschnitt sogar 14 % ihrer Nahrungsenergie in Form von Protein auf, wobei die Veganer mit der höchsten Proteinzufuhr innerhalb der Gruppe ganze 19 % der Nahrungskalorien aus Protein bezogen. 75 Selbst die Probanden aus der veganen Gruppe mit dem geringsten Proteinverzehr nahmen in dieser Untersuchung immer noch über 10 % der Kalorien aus Protein zu sich und so wiesen alle Gruppen eine adäquate »Protein-Energy Ratio« auf.
Bei allen Nährstoffen gibt es nicht nur eine empfohlene Minimalzufuhr, sondern auch eine berechnete Maximalzufuhr, die allerdings bei einem Nährstoff wie Protein deutlich weniger problematisch ist als bei manchen Mineralstoffen, deren therapeutische Breite viel geringer ist. Die Maximalzufuhr eines Nährstoffs, die man selbst über lange Zeit hinweg ohne gesundheitliches Risiko zu sich nehmen kann, wird als sogenanntes Tolerable Upper Intake Level (Upper Level, UL) bezeichnet. Für Protein konnte laut der European Food Safety Authority (EFSA) zwar aufgrund der begrenzten Datenlage kein UL festgelegt werden, aber laut der EFSA kann mindestens die doppelte Menge der offiziellen Zufuhrempfehlungen auch über längere Zeit ohne gesundheitliches Risiko verzehrt werden. 76 Die offizielle Empfehlung für nicht-schwangere Erwachsene beträgt 0,8 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht bei Mischkost und somit können mindestens bis zu 1,6 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht ohne abträgliche Langzeitfolgen zugeführt werden. Die 60 kg schwere Testperson könnte demnach also täglich bis zu 96 g Protein im Rahmen ihrer Ernährung verzehren. Geht man von einer etwas geringeren Verfügbarkeit pflanzlicher Proteine und einer Proteinempfehlung von 0,9-1,0 g/kg Körpergewicht aus, so ist das UL für rein pflanzliche Proteine mit 108-120 g/Tag sogar noch höher.
Fazit
Wie dieses Kapitel gezeigt hat, kann man in jeder Phase seines Lebens den Proteinbedarf rein pflanzlich decken. Frühere Untersuchungen zur Beurteilung der Wertigkeit von Proteinen haben pflanzliche Proteine verhältnismäßig schlecht bewertet, doch viele dieser Testergebnisse mussen aufgrund ihrer zahlreichen Limitierungen hinterfragt werden. Viele internationale Gesundheits- und Ernährungsgesellschaften sind sich heutzutage einig, dass eine gute Proteinversorgung auch rein pflanzlich möglich ist, wenn man einen ausgewogenen Speiseplan verfolgt und auf die Zufuhr tendenziell kritischer Aminosäuren wie Lysin achtet.
Da die essenzielle Aminosäure Lysin in erster Linie in Hülsenfrüchten in hoher Konzentration vorkommt, sollten Hülsenfrüchte einen täglichen Bestandteil einer pflanzlichen Ernährung bilden. Um die ausreichende Proteinversorgung für vegan lebende Menschen in jeder Lebenslage sicherzustellen, empfehlen einige Veröffentlichungen eine Erhöhung der Proteinzufuhr bei rein pflanzlicher Ernährung um 5-25 %, jedoch sehen nicht alle relevanten Veröffentlichungen diese Erhöhung als notwendig an.
Entgegen früherer Vermutungen ist es außerdem nicht zwingend notwendig, die unterschiedlichen pflanzlichen Proteinträger innerhalb einer Mahlzeit zu kombinieren, um ihr Aminosäurespektrum zu vervollständigen. Es genügt, diese innerhalb eines Tages verteilt zu essen.
Nach dem Vorbild von Dr. Vernon Young und Dr. Peter Pellett, deren wichtige Veröffentlichung »Plant Proteins in Relation to Human Protein and Amino Acid Nutrition« 77 mit einer übersichtlichen Tabelle zu den häufigsten Proteinmythen sowie ihrer Richtigstellung endet, schließt auch in diesem Buch jedes Kapitel mit einer tabellarischen Gegenüberstellung der beschriebenen Mythen sowie mit der Realität ab.
Klischee
Die vegane Ernährung liefert nicht genügend Protein.
Realität
Eine ausgewogen zusammengestellte vegane Kost liefert bei ausreichender Kalorienzufuhr alle essenziellen Aminosäuren und kann daher den Proteinbedarf decken.
Klischee
Athleten können ihren erhöhten Proteinbedarf nicht rein vegan decken.
Realität
Positionspapiere wie jenes der AND stellen klar, dass auch Athleten jeder Sportart ihren erhöhten Proteinbedarf rein pflanzlich decken können und viele erfolgreiche vegane Athleten leben es darüber hinaus tagtäglich vor.
Klischee
Tierische Proteine sind hochwertiger als pflanzliche Proteine.
Realität
Separat betrachtet haben pflanzliche Proteine eine geringere biologische Wertigkeit als tierische Proteine. Jedoch haben viele der Messmethoden zur Proteinbewertung aufgrund ihrer starken Limitierungen nur eine sehr bedingte Aussagekraft. Durch die Kombination von unterschiedlichen pflanzlichen Proteinträgern kann das Aminosäurespektrum von Pflanzen stark aufgewertet werden und steht dadurch tierischem Protein ebenbürtig gegenüber.
Klischee
Zur Qualitätsverbesserung von pflanzlichen Proteinen müssen sich ergänzende Proteine zwingend innerhalb einer Mahlzeit gegessen werden.
Realität
Die Aminosäuren unterschiedlicher Proteine können sich im laufe des gesamten Tages ergänzen und müssen nicht zwingend innerhalb einer Mahlzeit zusammen zugeführt werden.
Klischee
Veganer müssen mehr Protein essen, um die niedrigere Verdaulichkeit und Verfügbarkeit der pflanzlichen Proteine auszugleichen.
Realität
Zum aktuellen Zeitpunkt herrscht kein Konsens darüber, ob Veganer tatsächlich mehr Protein zu sich nehmen sollten. Um auf Nummer sicher zu gehen, empfehlen einige Institutionen eine moderate Proteinzufuhrerhöhung um etwa 10 % bei rein veganer Kost.